Fußnoten zu ungeschriebenen Texten Neue Vor-Würfe
mit 259 neuesten Aphorismen von Winfried Schindler erschienen
Rems Zeitung, 24.2.2012
LITERATUR. Als Sprachspiele, die ernst sein müssen, ohne
dabei ihre Leichtigkeit zu verlieren, bezeichnet Nietzsche die
Aphorismen und Winfried Schindler hat wieder einmal bewiesen, dass er
just diese Kunst perfekt beherrscht. „Wiederhole nicht die Fehler
anderer, sei originell, in dem was du falsch machst rät er seinem
Leser und lässt ihm diesem keine Chance, sich für fehlerfrei
zu halten. Über hundert Seiten umfasst das Büchlein wieder,
das die 259 neuesten Aphorismen Winfried Schindlers birgt, wieder mit
einem Vorwort von Paul Barié, der diesmal Saramago und Benyoetz
als Verfechter des Aphorismus zitiert. Denn der Umgang mit den
„Luftballons mit Gewicht“ ist nicht ganz ungefährlich,
steckt oft hinter dem oberflächlichen Wortspiel eine Tiefe, die
man erst ergründen muss. Und Schindler umspannt wieder ein weites
Feld. Von der Nabelschau des Selbst schlägt er seinen Bogen
über Gott und den Glauben, die Welt und die Sprache, das Ziel des
Lebens bis zu Liebe, Ehe und Glück - was durchaus in krassem
Gegensatz stehen kann. „Bedenkliche Sprüche“ verfasst
er im ersten Teil seines „Vor-Würfe“ titulierten
Bandes, bedenklich im positiven (berücksichtigen) wie auch im
negativen (gefährlich) Sinne. So wird Schindler gelegentlich zum
Zyniker: „Wohltaten sind infam: man kann sich gegen sie nicht
wehren.“ Oder mit einer gewissen Prise Gesellschaftskritik:
„Wer auf Selbst Verwirklichung aus ist, will sich
loswerden“ - verständlich, wenn niemand sich aussuchen kann,
„wer er sein muss“. Als Altphilologe ist Winfried Schindler
natürlich der Sprache verbunden. Die schwerste Fremdsprache
für ihn ist einfach „Schweigen“ und „reich ist,
wer sich Worte spart“. Denn das ausgesprochene Wort hat sein
Eigenleben, ist nicht zurücknehmbar, deshalb empfiehlt er:
„Bevor du ein Wort in den Mund nimmst, solltest du ihn
säubern.“ Aber gleich wieder reitet ihn der Teufel:
„Ideen fließen einem zu, man muss nur weit genug unten
sein“ oder „ mit Gedanken muss man ringen, bis man sie
niedergerungen hat“. An Lösungen mag er nicht immer zu
glauben, denn „Wer Antworten findet, hat die falschen Fragen
gestellt.“ Für Schindler ist die Sprache etwas, das ihn
beherrscht und nicht umgekehrt, er ist einer, der sich selbst nicht
kennt. In den „Fragmenten eines Ich-Romans“ beneidet er
folgerichtig seinen Schatten „um die Fähigkeit, sich
fortwährend zu ändern.“ Er selbst pflegt die Distanz zu
sich, auf feinsinnige, eigensinnige Weise, die durchaus bedenklich ist
- im beiderseitigen Wortsinn. Und so wie Winfried Schindler mit den
Worten spielt, sie durch sein Ich kullern lässt und sein Ich in
den Worten versteckt, so muss er auch Aphorismen über den
Aphorismus schreiben, denen er den letzten Teil seines neuesten
Büchleins widmet. Für ihn sind Aphorismen
„Fußnoten zu ungeschriebenen Texten“, denn was
Realität und was Fiktion ist, bleibt für ihn in der Schwebe.
Jeder von uns hat schon erlebt, wie er mit Worten rang, das richtige
suchte, eines erwischte und dann interpretiert wurde, wie er gar nicht
interpretiert werden wollte. Winfried Schindler thematisiert mit
seinen knappen Gedanken nicht nur dieses Problem, er hat auch
hilfreiche Worte für die Situationen, wo man besser gar keine
verwendet hätte.
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