Kurz waren die Gedichte von Winfried Schindler schon immer,
ist er doch ein
Meister des Wortes, des prägnanten Ausdrucks, der
Verknappung des Inhalts. Nun hat er seine Aphorismen
veröffentlicht.
BÜCHER (wil). 269 davon auf Über hundert Seiten
unter dem Titel "Die Illusion der Wirklichkeit - die
Wirklichkeit der Illusion". Schon der Titel des
gefälligen Bändchens ist Programm. Wo
unterscheidet sich die so genannte Realität von der
Wahrnehmung durch den Einzelnen - und ist der Einzelne
überhaupt eine Einheit? Aus wie vielen Ichs besteht der
Mensch, wie nimmt er sich wahr und wie will er wahrgenommen
werden? Winfried Schindler Aphorismen sind folgerichtig in
zwei Teile gegliedert: in die unmöglichen
Sprüche und in die Fragmente eines
Ich-Romans. Eingeleitet wird der Band von Paul Barié,
der die Geschichte des Aphorismus seit Hippokrates aufzeigt,
Parallelen zu La Rochefoucauld, Chamfort und Stanislaw Jerzy
Lee zieht und die Kunst Schindlers lobt, Dinge auf den Punkt
zu bringen. Denn "Der Aphorismus: ein Blitzschlag" -
so Schindler selbst. Der Aphorismus schafft um sich herum
eine Leere, in die alles hineinpasst, was er selbst nicht
aussagt.
Die Freude am Spiel mit Worten prägt seine Aphorismen
Diese Leere schafft Winfried Schindler richtigen Fragen,
stellt oft sich und alles andere in Frage: "Unser
Bewusstsein gehört nicht uns. Wem aber dann?" Erweist
er sich streckenweise als metaphysischer
Nihilist, so entpuppt er sich doch auch als sinnlich
einfühlsam: "Bevor wir ein Liebeswort
aussprechen, sollten wir es in unserem Innern wie eine Katze
streicheln." Manches mag böse erscheinen - "Die
Frauen sind die besten, die man nie kennen gelernt hat" -
doch auch mit sich selbst geht Schindler vor allem ironisch
um: "Schreiben ist eine Beschäftigung, wenn man
nichts zu sagen hat". Es ist die Freude am Spiel mit den
Worten, die seine Aphorismen prägt und die den Leser
zum ständigen Innehalten zwingt. Seine Themen sind
die Realität, die Liebe und der Tod und dies in einem
Atemzug. Er philosophiert über die Logik, das Schreiben
und den Aphorismus selbst und dies natürlich mit
beißender Ironie: "Memoiren dienen ihren Verfassern
dazu, die vielen guten Taten in ihr Gedächtnis zu
rufen, die sie nie begangen haben." Und wer über Sprache
schreibt, der darf auch das Schweigen nicht
vernachlässigen: "Es
gibt Menschen, mit denen man sich nicht zu schweigen traut."
Was sein Ich angeht, erweist sich Winfried Schindler als
wahrhaft multiple Persönlichkeit(en), dabei aber
immer kritisch mit sich selbst: "Die Stimme meines
Gewissens flüstert mir unaufhšrlich zu, was Andere
mir Gutes tun sollten." Oder er bleibt mit sich allein:
"In keinem meiner Sätze über mich komme
ich vor." Dies ist nahezu Programm für Schindler, damit
zwingt er den Leser zur wohl schwierigsten
Beschäftigung - der Betrachtung des eigenen Ichs ohne
Happy-End. Manchmal erheiternd, manchmal scharfzüngig,
aber immer mit Tiefgang, ohne dabei abzusinken, mit dieser
Herausforderung wendet sich Schindler an seine Leser.
Winfried Schindler: Die Illusion der
Wirklichkeit-die Wirklichkeit der Illusion, Sonnenberg
Verlag, 9.80 Euro, erhältlich im Buchhandel, oder im
Internet unter www.sonnenbergverlag.de
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