Die Aphorismen des Gmünder Autors Winfried Schindler
schöpfen philosophisch und literarisch aus dem Vollen
Bislang ist Winfried Schindler, Mitglied des Gmünder
Autorenkreises, durch drei Gedichtbände mit
minimalistischen Wortfügungen in Erscheinung getreten.
Mit wenigen Worten umreißt der Dichter
Gefühlslagen ebenso wie philosophische Fragestellungen.
Mit "Die Illusion der Wirklichkeit / Die Wirklichkeit der
Illusion" legt der Geisteswissenschaftler nun ein
Bändchen mit Aphorismen vor, die tief schürfen.
Er führt das Leben eines Privatgelehrten, für den
Philosophie und Literatur ein nicht abschließbares
Studium darstellen. In Gmünd ist er im Autorenkreis und
dessen Umfeld bekannt, eines seiner Bücher sorgte jedoch
unter Altphilologen weltweit für Furore: eine von
Winfried Schindler und Paul Barié übersetzte und
kommentierte Ausgabe des lateinischen Dichters Martial, die
in der Vorzeige-Reihe Tusculum bei Artemis und Winkler
erschienen ist. Demnächst wird eine Auswahl der
Epigramme in einer populärwissenschaftlichen Reihe vom
gleichen Verlag herausgegeben. Die Antike ist nur eine
Epoche, aus der Schindler bei seinen Aphorismen schöpft.
Der Bogen spannt sich von lateinischen Dichtern und Denkern
bis hin zu postmodernen Philosophen. An erster Stelle ist es
Friedrich Nietzsche, ein Aphoristiker par excellence, der
für Inspiration sorgt. Den 269 Aphorismen vorangestellt
ist ein Essay von Paul Barié "Präzise
Irritationen. Der Aphorismus als Denk-Impuls", in dem er der
literarischen Form und ihren Meistern wie etwa Hippokrates,
François de la Rochefoucauld oder Stanilaw Jerzy Lec
nachspürt. Zugleich ist der Essay eine Einführung
in die konkret vorliegenden Sentenzen: "Inhaltlich sind
Winfried Schindlers Apercus minimalistische, pointierte
Diskurse über Gott und die Welt, die Liebe und die
Einsamkeit, und nicht zuletzt über die Spiegelungen und
Facetten des Ich im verfremdenden Medium der Welt."
Der Aphorismenband umfasst zwei Teile: "Unmögliche
Sprüche" und "Fragmente eines Ich-Romans". Im ersten
Teil setzt sich Schindler - wie der Titel bereits mehrdeutig
anklingen lässt - mit den großen Begriffen der
Philosophie und Literatur auseinander: Realität,
Illusion, aber auch Liebe und Tod. Vernunft, Verstand und
Wahrheit stellt er in Frage: "Logik ist der Geist der Narren,
die glauben, sie könnten mit sich und der Welt fertig
werden." Es ist das Erzählen dem Schindler vertraut: "Im
Erzählen entsteht ein Mehrwert, welcher der Wirklichkeit
vorenthalten ist: Sinn". Und die Fantasie ist es, die den
Geist beflügelt: "Die Fantasie führt zur
Wirklichkeit, der Realismus von ihr weg." Manche Aphorismen
greifen philosophische Denkgebäude auf, wie etwa
Platons Höhlengleichnis. Andere stellen Gewissheiten in
Frage: "Heute Nacht habe ich geträumt, dass es mich
gibt. Somnio ergo sum" parodiert Schindler Descartes' "Ich
denke, also bin ich". Auch die Gattung, in der er sich
äußert, nimmt er unter die Lupe: "Der Aphorismus
leidet an Kurzatmigkeit; das ist seine Stärke" In
"Fragmente eines Ich-Romans" experimentiert der Aphoristiker
mit dem literarischen Ich; alle nur denkbaren Zuschreibungen,
was das Wesen des Ichs sei, stellt er in Frage: "Mein Ich ist
eine Vorspiegelung falscher Tatsachen." Damit steht Schindler
ganz in der Tradition der Postmoderne. Auch, indem er die
großen Gefühle in Frage stellt: "Wie sehr trauere
ich um den Verlust meiner großen Liebe, die ich nie
kennengelernt habe." Selbst den Glauben an die
Originalität des Autors wirft Schindler, ohne mit der
Wimper zu zucken, über Bord: "Alles, was man sagt,
schreibt und denkt, ist Zitat. Wir sind second hand only" -
ein Aphorismus, der zum Widerspruch herausfordert. Oder doch
nicht? Der stärkste Schluss ist der gegen sich selbst,
schrieb bereits Nietzsche.
Am 26. November, 19 Uhr, stellen Winfried Schindler und
Reinhard Nowak ihre Aphorismen in der Gmünder
Volkshochschule vor.
Winfried Schindler, Die Illusion der Wirklichkeit / Die
Wirklichkeit der Illusion, Sonnenberg Verlag, Annweiler am
Trifels, 2009.
Birgit Markert
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