französisch heute • 35. Jg. • 2004 • Heft 4

Herausgeber: Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner, Jürgen Mertens und Marcus Reinfried
Koordination des Themenhefts: Hélène Martinez und Franz-Joseph Meißner
Internet: www.fapf.de


FIRGES, JEAN (2000): Jean Paul Sartre: Der Blick. Sartres Theorie des Anderen. 52 S.
FIRGES, JEAN (2001): Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen. Gedichtinterpretationen. 112 S.
OVERBECK, RENATE (2003): Georges Perec: Das Leben. Gebrauchsanweisung. Der Roman als Puzzle. 108 S.

Alle: Annweiler am Trifels: Sonnenberg-Verlag. Pro Band 9,80 €. (Exemplarische Reihe Literatur und Philosophie).
www.sonnenbergverlag.de

Die drei Titel, die ich hier vorstelle, sind Teil eines größeren Programms, das der Verleger Jean Firges, emeritierter Französischdidaktiker aus Ludwigsburg, in den vergangenen fünf Jahren entwickelt hat und fortführt. "Die kleinen Bücher sind einfach und klar geschrieben. Sie richten sich an Leserinnen und Leser mit knapp bemessener Freizeit, die in wenigen Stunden wesentliche Züge des Lebens und des Werks eines Autors kennen lernen wollen", so steht im Klappentext. Sie richten sich also an ein breiteres Publikum. Ich will an den drei oben genannten Beispielen zeigen, wie Französischlehrer (und Deutschlehrer) sowie ihre älteren Schüler von dieser Reihe Gebrauch machen können. Sie kann dem Literaturunterricht durch einen neuen Zugriff neue Impulse geben.

In dem Jean Paul Sartre gewidmeten Bändchen wird die Metapher vom Blick zum Ausgangspunkt einer biografischen, systematisch-philosophischen und literarischen Darstellung von Sartres Theorie des Anderen. Firges erzählt zunächst von den Kindheitserfahrungen des bekanntlich schielenden, mit zunehmendem Alter in seiner Sehkraft behinderten Autors, und zwar an

Hand des autobiografischen Textes Les Mots. In einem zweiten Kapitel geht er auf die Theorie des Anderen in seinen philosophischen Hauptwerken ein – namentlich in L'Etre et la Néant und in L'Existentialisme est un humanisme. Im dritten Kapitel wird das Thema des 'Anderen' im Drama Huis clos behandelt.

Dieses Vorgehen in drei Schritten – von der Biografie über die philosophische Systematik zur literarischen Darstellung – ist sehr aufschlussreich und zugleich leserfreundlich. Denn der schwierige Sachverhalt – die Theorie des Anderen – wird mehrfach angegangen. Der Text ist nicht nur "einfach und klar" geschrieben, sondern er ist elegant formuliert, vor allem aber ist er durch zahlreiche, auch längere Textzitate illustriert. Der Autor hat sich entschlossen, sie sämtlich auf Deutsch wiederzugeben, zum größten Teil in eigener Übersetzung. Es ist schade, dass er mit Rücksicht auf ein Publikum, das des Französischen kundig ist, den Originaltext nicht in Fußnoten oder im Anhang untergebracht hat. So muss der Leser leider viel nachschlagen, wenn er zu diesem kommen will. In dem Baudelaire-Band verfährt Firges in dieser Hinsicht anders: ausgewählte Gedichte aus Les Fleurs du mal werden im Original zitiert; auf die Zitate folgen deutsche Übersetzungen des Verfassers. Die übrigen Texte (sowohl von Baudelaire wie Zitate aus der Sekundärliteratur) werden zumeist nur in Übersetzung gegeben.

Auf eine knappe systematische Einleitung – mit der Erklärung von Baudelaires Begriff der Modernität und seiner Dichtungstheorie (in der auch auf einige wichtige Texte der Sekundärliteratur hingewiesen wird) – folgen ein Dutzend ausführliche Interpretationen, die thematisch angeordnet sind, z. B. unter den Themen "Trauma der Verstoßung", "Paradies der Kindheit", das Frauenbild, die Stadt, der Dandy. Der Leser






wird im Erzählduktus durch diese Interpretationen hindurch geführt. Er erlebt die Interpretationen in einem Kontext, den der Autor klug herstellt. Der Leser hat folglich nicht den Eindruck, schulmäßig an die Hand genommen zu werden. Dennoch ermangeln die Interpretationen nicht der Stringenz – es gibt immer wieder kleine Zusammenfassungen, Rückverweise, Ausblicke. Erkenntnisleitend sind aber die Erzählungen des Interpreten, der es möglich macht, Biografie, Sozialgeschichte, Literaturgeschichte, Rezeptionsgeschichte dem Anschein nach mit leichter Hand, jedoch in der Tat wohl überlegt einzubringen.

Renate Overbeck geht mit den Textauszügen des von ihr präsentierten Autors Georges Perec ähnlich um wie Firges mit den Baudelaire-Texten: Sie zitiert die Texte in Französisch und druckt nachfolgend die Übersetzungen ab, und zwar die des Perec-Übersetzers Eugen Helmlé. Im Mittelpunkt ihrer Präsentation steht Perecs magnum opus La vie mode d'emploi, dessen Thematik manchen Französischlehrern aus Francis Debysers L'lmmeuble bekannt sein dürfte. Allerdings stellt sie den Roman in den Kontext der Biografie und des Gesamtwerks des Autors. Das geschieht zunächst in einer kurzen, konzisen und sehr instruktiven Einleitung.

Im Hauptteil wird La vie mode d'emploi systematisch vorgestellt: zunächst durch den Hinweis auf den Romanentwurf, der bereits vier Jahre vor dem Erscheinen des Romans in Espèces d'espace formuliert worden ist und den Inhalt in nuce enthält – die Beschreibung eines Hauses und seiner Bewohner in einem bestimmten historischen Augenblick. Die sorgfältige Darstellung der "formalen Verfahren", die sich anschließt (man könnte auch sagen: die Erläuterung des Kompositionsspiels und des Sprachspiels), lässt den Leser erkennen, dass der scheinbar zufällige Aufbau des

Werks in Wirklichkeit vielschichtig und sehr bewusst konstruiert ist. Die Romanerzählung – also die inhaltliche Seite des Romans – wird von Renate Overbeck sorgfältig analysiert; die Beschreibung des Mietshauses, die Porträts einiger der Bewohner, die in der Erzählung zur Sprache gebrachten Themen, die beschriebenen Dinge können dem Leser helfen, sich in der Komplexität der Erzählstränge zurechtzufinden. Schließlich wird der Roman als Gemälde, als Puzzle und als Selbstporträt erklärt. Die Autorin hat einen Ko-Text zu dem Roman geschrieben, zum Nutzen für potentielle Leser, am besten zu gebrauchen nach vorhergehender Lektüre des Romans.

Allen drei Texten ist zu wünschen, dass sie von Französischlehrern für ihren Literaturunterricht genutzt werden. Sie können sie auch älteren Schülern in die Hand geben, die ein Referat oder eine Facharbeit vorbereiten. Denn sie sind übersichtlich gegliedert, sind verständlich geschrieben, sie sind nicht zu umfangreich, sie enthalten biografische Notizen und bibliografische Angaben, auch zu weiterführender Literatur.

Um zu zeigen, was die Reihe über die besprochenen Monografien hinaus bietet, nenne ich einige weitere deutsch- und französischsprachige Autoren, die bereits Gegenstand der Darstellung geworden sind: Jean Anouilh, Rose Ausländer, Paul Celan, Albert Camus, Friedrich Hölderin, Madame de La Fayette, Molire. Die Reihe ist eine Fundgrube für Literaturlehrer.

Herbert Christ



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